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1847
Die 
Schweiz im Bürgerkrieg
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Der Sonderbund

Sollte die Schweiz ein Staatenbund oder ein Bundesstaat sein? In der Zeit zwischen 1830 und 1848, der sogenannten Regeneration, bewegte diese Frage unser Land mit immer höherer Dringlichkeit. Liberal-radikales, städtisch geprägtes Gedankengut traf auf konservativ-föderalistische katholische Kräfte. Die vier Innerschweizer Kantone, zusammen mit Fribourg, dem Wallis und dem Tessin, gründeten im Dezember 1845 einen Schutzbund - den Sonderbund - zum Schutz der "alten Werte", zur gegenseitigen Hilfe, zur Abwehr von gewalttätigen Freischarenzüge in ihre Lande und der Bekämpfung des von den progressiven Kantonen erlassenen Jesuitenverbotes.

Canton Schaffhausen, Eidgenössische Armee 1847

Schaffhausen zieht in den Krieg

Für Schaffhausen war klar: nur ein starker Bundesstaat konnte dem kleinen Grenzkanton den nötigen militärischen Schutz gegen mächtige Nachbarn im Norden garantieren. Am 4. November 1847 beschloss Tagsatzung, den Sonderbund mit militärischen Mitteln aufzulösen. Schaffhausen stellte dem Bund umgehend sein Truppenkontingent von 6 Kompanien in Form des 71. Schaffhauser Infanterie Bataillons unter Oberstleutnant Johann Jakob Gnehm zur Verfügung.

Zum Bataillon gehörten auch zwei Jägerkompanien mit gut ausgebildeten Scharfschützen. Die 2. Jägerkompanie wurde vom 29jährigen Hauptmann Johann Conrad Neher kommandiert, welcher als Betriebsleiter im väterlichen Eisenwerk Laufen, auf der Neuhauser Seite des Rheinfalls, wirkte.

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Das Schaffhauser Infanterie Bataillon 71 am 1. November 1847

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Johann Conrad Neher

Johann Conrad Neher, technisch hochbegabt und musisch interessiert, war ein beliebter und auch sehr fähiger Militärführer. Manchen Soldaten im Schaffhauser Bataillon hatte er im eigenen Familienbetrieb gleich selber rekrutiert: Giesser, Schmiede und Schweisser. Hart arbeitende Männer, auftragstreu. eher wortkarg, aber mit grossem Herz und ebenso grossem Durst.

In seiner Freizeit traf sich Neher gerne mit Freunden zum gemeinsamen Musizieren. Manche Ausbildungsreise hatte ihn in den letzten Jahren an den Clyde geführt. Sein wichtigster Partner vor Ort, ein Tavish oder Travis MacKenzie aus Glasgow, ein kreativer Verfahrenstechniker, folgte Nehers Ruf nach Neuhausen. MacKenzie war nicht nur ein kompetenter Giessereispezialist, sondern auch ein hervorragender Piper. Um ihn herum bildete sich rasch ein Musikkreis von dudelsackbegeisterten Schweizern. Als ausgebildeter Flötist fand Neher rasch Zugang zum seltsam klingenden Blasbalg mit drei Röhren und einer Pfeife. Von öffentlichen Auftritten der Gruppe ist aber leider nichts bekannt. 

Nehers Truppe war auffallend jung. Neher legte grossen Wert auf Disziplin - und Geselligkeit. Im eidgenössischen Aufgebot von 1847 fielen die Schaffhauser Soldaten durch ihren hohen Ausbildungsstand,  ihren Arbeitseinsatz und ihre Sangeskraft auf. 

Das blieb auch dem Divisionskommandanten, dem St. Galler Oberst Dominik Gmür, nicht verborgen.  Er hatte noch etwas vor mit Hauptmann Neher...

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100 000 Mann marschieren auf

Am 11. November rückte die gesamte Tagsatzungsarmee unter General Guillaume Henri Dufour gegen die Sonderbundskantone vor. Fribourg kapitulierte kampflos. Nun galt es Luzern, den Hauptort des Sonderbundes, zur Raison zu bringen. Aus einem grossen Aufmarschraum, der das halbe Mittelland vom Entlebuch bis nach Wädenswil umfasste, rückten von vier Seiten gleichzeitig und wie ein gewaltiger Fächer rund 100'000 Mann vor. Die Ostschweizer 5. Division mit unseren Schaffhausern ganz am linken Flügel, marschierte auf Zug, welches praktisch kampflos eingenommen wurde.

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General Guillaume Henri Dufour

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Im Zentrum des Aufmarschgebietes, bei Giskon an der Reuss, und am linken Flügel bei Honau und Meierskappel, kam es am 23. November 1847 zu heftigen Gefechten mit dem Sonderbund. Nach intensivem Artilleriebeschuss endete der Kampf mit einem klaren Sieg der Tagsatzungstruppen. Die Gefechte forderten 45 Tote und 130 Verwundete. Der Weg nach Luzern war weit offen. Aber schnelles und entschlossenes Handeln war gefragt.

Schaffhauser erobern Luzern

Von drei Seiten her sollten die siegreichen Truppen in Luzern einziehen, angeführt von der 5. Division, welche der Stadt zeitlich am nächsten lag und an der linken Flanke von Meggen her vorrücken würde.

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Die 2. Jägerkompanie von Johann Conrad Neher erhielt den Auftrag, die Lage in Luzern unmittelbar vor dem allgemeinen Einmarsch zu rekognoszieren. So fiel Neher und seinen Schaffhauser Auszugssoldaten die besondere Ehre zu, als erste Eidgenössische Ttruppen in die gegnerische Hauptstadt einzumarschieren.

Winning the hearts & minds of the people
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Hptm Johann Conrad Neher

Auch wenn Hauptmann Neher mit einem friedlichen Einzug rechnete, musste er doch von einzelnen heftigen Reaktionen der Luzerner ausgehen. Anschläge durch Saboteure waren nicht auszuschliessen. Andererseits musste alles getan werden, um die Luzerner nicht unnötig zu demütigen.

Neher hatte eine Idee: Gleich hinter der Spitze (mit dem Schaffhauser Bannerträger Bächtold, Nehers Feldweibel) sollte das Bataillonsspiel der 71er marschieren, und zwar formiert als Pipes & Drums. 

Die fünf Militärtompeter der 71er spielten auf ihren Dudelsäcken, welche sie in den Felddienst mitgenommen hatten. Vier gehörten gehörten eh zu Nehers Piper-Freunden. Die Tambouren stimmten ihre Ordonnanztrommeln auf höher klingende Snare Drums um.

Gesagt, getan. An Stelle von donnernden eidgenössischen Ordonnanzmärschen vernahm das Publikum höchst ungewohnte Töne, nämlich die warmen und völlig ungewohnten Klänge von Dudelsäcken. Die Überraschung gelang und vereinzelt sei beim triumphalen Einzug der Schaffhauser von den unzähligen Schaulustigen sogar applaudiert worden.

Am 24. November 1847, um 12 Uhr, gleich nach der Meldung Nehers, Luzern sei truppenfrei und der gegnerische Generalstab sei mit seinem Anhang, der Kriegskasse und den Jesuiten per Schiff in Richtung Flüelen geflohen, erging der allgemeine Befehl zum Vorrücken für die drei Armeedivisionen.

Bereits um 14 Uhr war praktisch die gesamte Tagsatzungsarmee in der Stadt aufmarschiert und es herrschte bald ein massiveres Gedränge, als an der Luzerner Fasnacht. Zwar seien da und dort Zivilisten drangsaliert und vereinzelt sei auch geplündert worden, der Einmarsch verlief gesamthaft aber friedlich. An der offiziellen Parade am späteren Nachmittag spielte die Bataillonsmusik der 71er wieder auf ihren gewohnten Ordonnanzinstrumenten.

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Parade der siegreichen Tagsatzungstruppen n Luzern, 24.11.1847

Neher wird zum Major befördert

Das besonnene Vorgehen und die vorbildliche Haltung der Schaffhauser Jägerkompanie trug Johann Conrad Neher zum Jahresende 1847 die Beförderung zum Major ein. Kurze Zeit später wurde er vom Regierungsrat zum Kommandanten des Infanterie Bataillons No. 71 ernannt. Seine militärische Karriere beendete Neher im relativ hohen Alter schliesslich im Range eines Oberst.

Gagner la lutte, mais sans reproche
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Nachem Luzern am 24. November offiziell kapitulierte, beschlossen die übriggebliebenen Innnerschweizer Kantone am folgenden Tag in Brunnen, ebenfalls zu kapitulieren. Mit der Aufgabe des Kantons Wallis endete der Sonderbundskrieg formell am 29. November 1847.

Der letzte Krieg auf Schweizer Boden forderte insgesamt 150 Tote und etwa 400 Verwundete.

« Il faut sortir de cette lutte non seulement victorieux, mais aussi sans reproche »
 

« Wir müssen aus diesem Kampf nicht nur siegreich, sondern auch ohne Vorwurf hervorgehen »

Die klar formulierte Führungsmaxime des siegreichen Generals Henri Dufour wurde im Sonderbundskrieg erfolgreich umgesetzt. Auf Basis einer Bundesverfassung entstand im September 1848 die Schweizerische Eidgenossenschaft als moderner Bundesstaat. Am 6. November wählte die Bundesversammlung den ersten Bundesrat.

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Schweizerische Waggon-Fabrik Neuhausen

Ein glückhafter und erfolgreicher Unternehmer

Das militärische Wirken Johann Conrad Nehers war eigentlich nur das Spiegelbild einer aussergewöhnlichen unternehmerischen Karriere, nicht untypisch für die Gründerzeit. 1853 gründete Neher zusammen mit Friedrich Peyer im Hof (dem Schwager seines älteren Bruders und engen Freund des Eisenbahnkönigs Alfred Escher) und dem Industriellen Heinrich Moser (dem Schwiegervater seines jüngeren Bruders) in Neuhausen am Rheinfall die "Schweizerische Waggon-Fabrik", aus der später die SIG hervorging. Das Geschäft lief von Anfang an hervorragend: Peyer im Hof lieferte die Kontakte ins boomende Eisenbahngeschäft, Moser war der Financier und Neher wirkte bis ins hohe Alter als technischer Leiter und Verwaltungsrat. Bereits zwei Jahre nach Gründung präsentierte sich das Unternehmen erfolgreich an der Weltausstellung in Paris. Das Unternehmen wagte sich in die Waffenherstellung und produzierte die ersten Ordonnanzwaffen der Schweiz. Später kamen Verpackungsmaschinen und der Fahrzeugkomponentenbau hinzu.

Johann Conrad Neher wird als kultivierter, feinsinniger, ruhiger, freundlicher und bescheidener Mensch beschrieben. Ob er in den 1850er-Jahren mit seinen Freunden weitermusizierte, ist nicht bekannt. Politisch blieb er bis ins hohe Alter aktiv, kulturell interessiert und sozial engagiert. 1860 war er Mitgründer der Gemeinnützigen Gesellschaft Schaffhausen. Er starb 1877 im Sonnenburggut in Schaffhausen. Auf der Inventarliste seines Nachlass ist unter anderem auch ein "Dudelsack, im Holzkoffer" aufgeführt.

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Sonnenburggut Schaffhausen

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